Moderation: Santosh Mahindrakar (indischer Gesundheitsaktivist und Pflegekraft am Klinikum Bielefeld) und Dr. Andreas Grünewald (Referent für Migration, Brot für die Welt)
In diesem Workshop ging es um offene Fragestellungen des „Triple-Win“-Ansatzes, insbesondere im entwicklungspolitischen Bereich sowie bei der Integration von Fachkräften in den deutschen Gesundheits- und Pflegesektor. Nach einleitenden Inputs durch die Moderatoren wurde die Leitfrage des Workshops diskutiert.
Laut Dr. Andreas Grünewald ist der Mangel an Gesundheits- und Pflegepersonal ein globales Phänomen. Zugleich sei der Mangel ungleich verteilt. Insbesondere im Globalen Süden sei die Abdeckung mit Gesundheitsfachkräften in der Regel wesentlich schlechter. Bei jeder Anwerbung müsse also die Frage gestellt werden, welche Folgen die Abwerbung von Personal für die Herkunftsländer hat. Zwar gebe es laut Grünewald einige von Deutschland akzeptierte Grundsätze der WHO (sog. WHO-Codex), wie z.B., dass eine aktive Abwerbung aus Ländern mit erheblichem Mangel an Gesundheitsfachkräften nicht durchgeführt werden darf. Der Experte forderte jedoch, dass man als Anwerbeland über diese Grundsätze hinausgehen müsse, wenn man den „Triple-Win“-Ansatz wirklich ernst nehme. Auf Basis von bilateralen Abkommen sollte demnach nicht nur die Anwerbung von Fachkräften geregelt, sondern auch Maßnahmen vereinbart werden, die zu einer nachhaltigen Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens in den Partnerländern beitragen (z.B. finanzielle Unterstützung). Denn in den meisten Ländern des Globalen Südens herrsche u.a. in Folge von Strukturanpassungsprogrammen in den 1980er und 1990er Jahren eine chronische Unterfinanzierung des Gesundheitssektors. Dies führe laut Grünewald teilweise zu der paradoxen Situation, dass ein Mangel an Arbeitskräften im Gesundheitssektor herrsche, gleichzeitig Fachkräfte aus diesem Bereich aber arbeitslos seien, da sie unter den gegebenen Umständen (geringe Bezahlung, schlechte technische Ausstattung etc.) nicht arbeiten wollten.
Hinterfragt wurde in diesem Workshop des Weiteren die Annahme, dass im Zuge einer Fachkräfteanwerbung tatsächlich ein „Brain-Gain“ (Wissenstransfer) für die Herkunftsländer erfolge. Zum einen seien die Tätigkeitsfelder von Pflegefachkräften im Herkunftsland oft andere als in Deutschland — die Arbeit in Deutschland führe nach Einschätzung vieler Fachkräften eher zu einer Dequalifizierung. Zum anderen finde eine Rückkehr von Pflegepersonal und Ärzt*innen kaum statt.
Santosh Mahindrakar betonte, dass Deutschland im Zuge von Anwerbeabkommen durchaus in den indischen Gesundheitssektor investiere. Diese Investitionen kämen jedoch vor allem dem privaten Sektor zu Gute – und nicht der öffentlichen Gesundheitsversorgung, wo die finanzielle Hilfe eigentlich Not tue. Zugleich unterstrich Mahindrakar, dass Migration für Fachkräfte in Indien eine Möglichkeit darstelle, den oft sehr schlechten Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung zu entkommen. Allerdings gebe es in Deutschland auch noch viel zu tun, um die Bedingungen hierzulande zu verbessern. Zum einen dauere die Anerkennung für Pflegefachkräfte in der Regel zwei Jahre. In dieser Zeit sei die Bezahlung oft schlecht (auf unteren Lohn-/Tarifstufen). Zum anderen müssten die Zugewanderten die Kosten für die Anerkennung ihrer Qualifikationen in vielen Fällen selbst tragen.
Mehrere Workshop-Teilnehmende unterstrichen zudem Versäumnisse in der betrieblichen Integration. Neben einer oft fehlenden (kulturellen) Offenheit gebe es hierfür auch strukturelle Gründe: so lasse die Personalknappheit zu oft kaum Spielraum für Integrationsmaßnahmen.
Gesund für alle Beteiligten? Das Fazit des Workshops auf diese Frage lautet: Zu einem echten „Triple Win“ ist es noch ein langer Weg.
Die Präsentation von Santosh Mahindrakar finden Sie hier.
Die Präsentation von Dr. Andreas Grünewald finden Sie hier.