von Olaf Bernau, Netzwerk Afrique-Europe-Interact
Zum „Triple Win“ — Konzept
Als Kofi Annan den Begriff des Triple Win prägte, war das kein am grünen Tisch ersonnenes Konzept zur Neuordnung des internationalen Migrationsgeschehens. Vielmehr orientierte sich der aus Ghana stammende ehemalige UN-Generalsekretär an der vielfältigen Geschichte zirkulärer Mobilität, ohne die die Geschichte Westafrikas (woher bis heute die meisten afrikanischen Migrant*innen kommen) überhaupt nicht denkbar wäre.
Migrationgeschichte in Westafrika
Diese begann im 8. Jahrhundert mit dem Transaharahandel. Damals entstanden die Routen, auf denen die jungen Migrantinnen noch heute unterwegs sind. Anfangs endete der Transahara-Handel südlich der Sahara in berühmten Karawanenstädten wie Timbuktu.Von dort weitete er sich in konzentrischen Kreisen bis in die Waldgebiete der Atlantikküste aus. Sodann sorgten nicht nur Pilgerfahrten nach Mekka und Wanderprediger, sondern auch nomadische Viehhirten dafür, dass der Kontinent in Bewegung blieb. Weitere mobilitätsstiftende Wegmarken waren Sklaverei und Kolonialismus. Vor allem durch die koloniale Zwangsarbeit sind bis heute stark frequentierte Migrationskorridore entstanden — etwa von Burkina Faso in die Elfenbeinküste (in die dortigen Anbaugebiete von Kaffee, Kakao etc.). Nach der Unabhängigkeit entstanden Megacities wie Lagos, Abidjan oder Dakar und ließen – vornehmlich im Rhythmus der Regen- und Trockenzeiten – eine bis in die Gegenwart andauernde Pendelmigration zwischen Stadt und Land entstehen. Gleichzeitig nahm die Migration im westafrikanischen Raum zu, dabei spielte auch Bergbau eine wichtige Rolle. Seit den späten 1980er Jahren gingen zahlreiche Migrantinnen nach Nordafrika, und erst seit Ende der 1990er Jahre zogen immer mehr von ihnen bis nach Europa weiter – als Reaktion auf die schwierige Lage in West- und Nordafrika (Bürgerkriege, Verschuldungskrise, etc.).
Merkmale der Migration
Drei Merkmale sind für das Verständnis der westafrikanischen Mobilität zentral: Sie hat erstens immer schon mit Not zu tun, ist aber keineswegs negativ konnotiert. Teilweise ist eine Migrationserfahrung sogar Voraussetzung dafür, heiraten zu können. Sie ist zweitens zirkulär strukturiert. Ein malisches Sprichwort lautet: “Migration heißt, vom ersten Tag an seine Rückkehr vorzubereiten.” Und sie findet drittens primär in Westafrika statt, das zeigen auch Zahlen: Lediglich 2,6 Prozent aller Westafrikaner*innen leben außerhalb ihres Geburtslandes, davon 75 Prozent in Westafrika. Entsprechend halten sich derzeit in Europa gerade mal 4,1 Mio. Menschen auf, die in einem Land südlich der Sahara geboren wurden.
Hintergründe der Migration
Diejenigen, die mit Booten über das Mittelmeer nach Europa kommen, sind mitnichten die Ärmsten der Armen, sondern eher die Bessergestellten aus der breiten Masse der Bevölkerung (die Kinder wohlhabender Familien kommen mit dem Flugzeug, meist zum Studieren). Konkret zeigte eine 2019 erschienene UN-Studie (“Scaling Fences”), dass 85 Prozent der Bootsmigrant:innen aus Städten kommen, obwohl die Urbanisierungsquote in Westafrika gerade mal 49 Prozent beträgt. Viele haben die Schule länger besucht als Gleichaltrige und im Durchschnitt etwas mehr verdient. Wichtig vor allem: 81 Prozent geben Geldverdienen als zentrales Migrationsmotiv an, einerseits um ihre Familien unterstützen zu können, andererseits um einem tief empfundenen Gefühl von Perspektivlosigkeit zu entkommen.
Perspektiven für eine „faire“ Migrationspolitik
Die aktuelle Migrationspolitik führt zu zahlreichen Toten, Verletzten und Traumatisierten. Zudem werden gescheiterte Migrantinnen zu Hause häufig als “Looser” stigmatisiert. Zukünftige Migrationspolitik sollte sich stattdessen an dem historisch entstandenen Modell zirkulärer Mobilität orientieren. Wer regulär nach Europa kommen und hier eine Ausbildung machen oder Geld verdienen kann, ist auch bereit, früher oder später in Würde zurückzugehen. Dafür bedürfte es umfassender Rekrutierungsprogramme, inklusive Sprachunterricht u.ä. im Vorfeld. Zudem müsste es bessere Rückkehrunterstützung geben, ohne dass eine (temporäre) Rückkehr unmittelbar den Verlust des Aufenthaltsstatus in Europa bedeutet. Gleichzeitig sind aber auch jene Migrantinnen zu unterstützen, die keine Rückkehrabsichten hegen — etwa durch sogenannte “Co-Development”-Programme. Diese sehen vor, dass der Staat Migrant*innen-Gruppen finanziell subventioniert, die mit ihrem selbstverdienten Geld in ihrem Heimatdorf oder ihrer Heimatstadt eine Schule bauen oder ein Unternehmen gründen möchten.