Laut dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) sind im Wintersemester 2023/2024 rund 380.000 bis 390.000 Studierende mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft und einer Hochschulberechtigung aus dem Ausland an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Im Vergleich zu den letzten Semestern ist die Tendenz steigend (DAAD 2023). Viele der international Studierenden möchten nicht nur einen universitären Abschluss in Deutschland erlangen, sondern sich eine langfristige Perspektive auf dem deutschen Arbeitsmarkt schaffen.
Wendy Iparraguirre (WI) ist eine dieser Student*innen. Sie ist im Jahr 2021 mit dem Bachelor in dem Studienfach „Internationale Beziehungen“ von der Universidad San Ignacio de Loyola in Lima/Peru nach Deutschland gekommen, um das Master-Studium „Management in Nonprofit-Organisationen“ an der Hochschule Osnabrück zu beginnen. Wie sie den Weg an eine deutsche Hochschule empfunden hat und wie nun ihre berufliche Zukunft in Deutschland aussieht, erzählt sie im Interview.
ZBS AuF III: In welchem Moment Ihres Ausbildungsweges war Ihnen klar, dass Sie Ihr Studium in Deutschland fortsetzen möchten?
WI: Ich war schon immer ein neugieriger Mensch. Ich fand es faszinierend, andere Sprachen und Kulturen kennenzulernen. Ich habe also während meines Bachelorstudiums in Peru angefangen, Deutsch zu lernen. Das Lernen am Goethe-Institut öffnete mir nicht nur die Türen zur deutschen Sprache, sondern auch zur deutschen Kultur und der Welt der Möglichkeiten, die dieses Land bietet. Möglichkeiten, die in meinem Land viel seltener oder nur unter sehr komplizierten Bedingungen bestehen. Durch Veranstaltungen am Institut erfuhr ich von Stipendien, darunter auch von den DAAD-Stipendien. 2017 erhielt ich ein Stipendium für einen zweimonatigen Intensiv-Deutsch-Winterkurs in Düsseldorf. Dieser Aufenthalt stärkte nicht nur meine Sprachkenntnisse, sondern brachte mir auch das Land näher. Da wusste ich, dass ich nach Deutschland zurückkehren wollte, um mit einem Stipendium meinen Master zu machen. Es war nicht einfach, aber ich hatte schon viel Zeit in die Sprache investiert und hatte auch eine Verbindung zum DAAD, also musste ich es versuchen. Ich bin sehr froh, dass es geklappt hat.
ZBS AuF III: Wie kam es, dass die Wahl auf den Master an der Hochschule in Osnabrück gefallen ist?
WI: Während meines Bachelorstudiums war die internationale Zusammenarbeit mein Schwerpunkt, weshalb mich Fragen der Entwicklungszusammenarbeit schon immer interessiert haben. Nach meinem ersten Aufenthalt in Deutschland wurden mir auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern, insbesondere in Bezug auf die Chancen bewusster, was mich noch mehr motivierte, zu einer gerechteren Entwicklung in der Welt beizutragen. Vor diesem Hintergrund hat mich das DAAD-Stipendienprogramm “Helmut-Schmidt-Programm” angesprochen. Hierzu gehörte der Masterstudiengang “Management in Nonprofit-Organisationen” an der Hochschule Osnabrück. Sein interdisziplinärer und praxisnaher Charakter sowie die enge Verbindung mit meinen Interessen haben mich überzeugt den Studiengang zu meiner ersten Wahl zu machen.
ZBS AuF III: Welche Erwartungen und Wünsche hatten Sie im Gepäck?
WI: Ich war tatsächlich nervös. Obwohl ich fließend Deutsch sprach und kommunizieren konnte, war ich eingeschüchtert von dem Gedanken, einen Master auf Deutsch zu machen, mit akademischen Texten auf Deutsch arbeiten zu müssen und vieles davon nicht zu verstehen. Ich hatte außerdem von anderen, die ein Auslandssemester in Deutschland gemacht hatten, gehört, dass es oft sehr schwierig sei, deutsche Freunde zu finden. Dennoch war ich im Allgemeinen hoffnungsvoll. Ich hatte die Zusage für ein Stipendium und ein Masterstudium, also war ich optimistisch, dass ich der Herausforderung gewachsen sein würde. Außerdem wollte ich ohne Vorurteile versuchen, mir selbst ein Bild davon zu machen, wie es ist, hier zu studieren.
ZBS AuF III: Wie haben Sie Ihre Ankunft in Deutschland und den Start an der Hochschule empfunden?
WI: Es war sehr interessant, weil es während der Corona-Zeit war. […] Damals haben die Impfungen gerade angefangen, man musste ständig Tests machen, es gab eine Menge Einschränkungen. Ich denke also, dass meine Ankunft in Deutschland nicht unbedingt dem entspricht, was Menschen erleben, die unter normalen Bedingungen ankommen. Ich kann jedoch sagen, dass das Beste an meiner Ankunft war, meine (spätere) Gruppe von Freunden persönlich kennenzulernen. Die Gesellschaft kann definitiv stark beeinflussen, wie man seine Zeit an einem Ort verbringt. Ich hatte schnell das Gefühl, dass wir eine Familie und ein sehr nettes Unterstützungsnetzwerk aufgebaut haben, um die Herausforderungen des Auslandsstudiums zu meistern.
ZBS AuF III: Gab es Schwierigkeiten während des Studiums in Deutschland und wenn ja, wie konnten Sie diese überwinden?
WI: Ja, auf jeden Fall. Als erstes (und vielleicht am offensichtlichsten) würde ich das Studium in einer Fremdsprache nennen. Man befindet sich außerhalb seiner Komfortzone, man missversteht und wird missverstanden. Oft können Missverständnisse auch Spaß machen, aber in anderen Fällen führen sie zu Frustration. Manchmal fühlt man sich wieder wie ein Kind, das versucht, sich durchzusetzen, das lernt, formelle Telefonate zu führen, das lernt, auf die eine oder andere Weise zu sprechen und das jeden Tag Kraft und Stärke gewinnt, um weiterzumachen. Ich glaube auch, dass es sehr anstrengend sein kann, jeden Tag in dieser Situation zu sein und wenn man sich selbst zu sehr vernachlässigt, kann das sogar dazu führen, dass die eigene Würde beeinträchtigt wird.
Was mir dabei am meisten geholfen hat, war mein Netzwerk von Freunden und die Familie, die ich hier in Deutschland habe. Mein Partner ist aus Deutschland und er hat mir auch oft geholfen, besser zu verstehen, wie die Dinge hier funktionieren und wie die Menschen manchmal ticken. […] Manchmal war es auch schwierig, sich zu integrieren bzw. sich mit allen Kommilitonen und Professor*innen zu einigen, aber ich denke, dass dies in interkulturellen Kontexten oft der Fall ist.
ZBS AuF III: Sie haben Ihren Masterabschluss im Jahr 2023 gemacht. Was machen Sie heute beruflich?
WI: Heute bin ich Programmberaterin am Referat Afrika, Nahost bei der Alexander von Humboldt-Stiftung. Ich betreue und berate internationale Kooperationsprogramme und Förderprojekte, und unterstütze dabei die Antragstellung, Projektüberwachung und Mittelverwaltung.
ZBS AuF III: Wie haben Sie Ihren Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt empfunden?
WI: Ich fand es interessant und auch intensiv, weil das Verfahren in meinem Land anders ist. Ich hatte das Gefühl, dass man hier viel mehr Zeit in die Bewerbungen investieren muss. Erstens, weil hier normalerweise ein Bewerbungsschreiben verlangt wird und man sich daher vor der Bewerbung über die Stelle und die Organisation gründlich informieren muss. Und zweitens natürlich, weil man alles auf Deutsch lesen und vorbereiten muss, was auch mehr Zeit in Anspruch nimmt als in der eigenen Sprache.
Aber ich muss sagen, dass das Positive daran ist, dass man sich eher auf Stellen bewirbt, die einen wirklich interessieren, weil der Prozess mehr Zeit in Anspruch nimmt. Außerdem könnte man es auch als Privileg ansehen, dass man in diesem Sinne wählerischer sein kann. In meinem Land sucht man normalerweise natürlich auch nach Stellen, die den eigenen Interessen entsprechen, aber man recherchiert nicht so intensiv über die Tätigkeit oder das Unternehmen. Man schickt einfach Lebensläufe an so viele Stellen wie möglich, denn es ist oft sehr schwierig, eine Stelle zu bekommen.
ZBS AuF III: Haben Sie schnell und problemlos eine Beschäftigung gefunden?
WI: Ich bin mir nicht sicher, was “schnell und problemlos” wäre, mir fehlt die Perspektive, um das mit Sicherheit zu sagen. Wenn ich es mit meinem Land vergleiche, dann war es sicherlich schnell! Ich habe etwas weniger als drei Monate gesucht, bis ich meine Stelle bekommen habe. Ich bin mir nicht sicher, wie schnell das in der Branche ist, aber wenn ich es mit meinen Freunden bzw. Bekannten in Deutschland vergleiche, denke ich, dass es eine durchschnittliche Zeit ist. Andererseits fand ich das Auswahlverfahren für meine Stelle sehr anspruchsvoll. Es gab einige Tests und das Vorstellungsgespräch war herausfordernd, aber heute fühle ich mich mit meinen Kolleg*innen und meinem Arbeitsumfeld sehr wohl.
ZBS AuF III: Waren Sie im Bewerbungsprozess auf Hilfe von außen angewiesen?
WI: Ich habe manchmal die Hilfe des Übersetzers genutzt (offensichtlich habe ich noch Unsicherheiten bei einigen Wörtern und Redewendungen). Und manchmal habe ich für Vorstellungsgespräche mit meinem Partner geübt, aber darüber hinaus hatte ich keine Hilfe von anderen Stellen. Ich weiß jedoch von Freunden, die Unterstützung von der Arbeitsagentur erhalten haben und mir sehr positive Rückmeldungen gegeben haben! Ich habe gehört, dass sie sogar Beratungsgespräche für Interviews anbieten, die Kosten für Deutschkurse übernehmen und gute Ideen für die Arbeitssuche geben können. Sollte ich irgendwann wieder auf Arbeitssuche gehen, würde ich das auf jeden Fall in Betracht ziehen.
ZBS AuF III: Wie hätte eine Fortsetzung Ihres Studiums im Herkunftsland Ihre berufliche Zukunft verändert?
WI: Es wäre schwierig gewesen, überhaupt einen Master zu machen. In meinem Land ist dies sehr teuer. Die meisten Leute, die es machen (wenn sie nicht sehr viel Geld haben), studieren neben einem Vollzeitjob, weil sie es sich nur so leisten können. Das ist echt anstrengend. Ich habe gesehen, wie mein großer Bruder das gemacht hat und seine Lebensqualität darunter gelitten hat. Es ist zwar möglich, aber es sollte nicht so sein. Bildung sollte ein Recht sein und nicht ein Privileg oder etwas, das man auf Kosten seiner Gesundheit und Lebensqualität erwerben muss. Deshalb glaube ich, dass ich, wenn ich in meinem Land geblieben wäre, wahrscheinlich so lange gearbeitet hätte, bis ich genug Geld gespart hätte, um mir ein Masterstudium leisten zu können. Aber der Gedanke erscheint mir jetzt schwierig, weil ich weiß, dass in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Deutschland, der Zugang zu Bildung viel einfacher ist oder es viele Stipendienprogramme gibt.
ZBS AuF III: Wenn Sie auf Ihren Ausbildungsweg zurückschauen – würden Sie etwas anders machen?
WI: Nein. Ich glaube, es hat sich von klein auf alles so ergeben, dass ich studieren konnte und jetzt genau da bin, wo ich bin. Ich bin sehr glücklich und stolz auf den Weg, den ich gegangen bin und auf die wunderbaren Menschen, die ich auf diesem Weg getroffen habe. In der Zukunft möchte ich das, was ich gelernt habe und immer noch lerne, anwenden, um auf die eine oder andere Weise zu einer gerechteren Entwicklung beizutragen, einschließlich einer leichter zugänglichen Bildung und eines größeren Bewusstseins und Respekts füreinander. Wo immer ich bin, möchte ich dafür arbeiten.
Was ich in Deutschland auf akademischer, kultureller und persönlicher Ebene gelernt und erlebt habe, hat meinen Werkzeugkasten für die Ziele, die ich in der Zukunft erreichen möchte, erweitert und dafür werde ich immer dankbar sein.
Das Team von der Zentralen Beratungsstelle “Arbeitsmarktintegration und Fachkräftesicherung” (ZBS AuF III) bedankt sich ganz herzlich bei Frau Iparraguirre für das ausführliche Interview. Das Copyright des Beitragbildes liegt bei Andrea Zmrzlak.