Im Vortrag von Dr. Lena Sachse und Dr. Katharina Wehking wurde die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation geflüchteter und zugewanderter Personen in Pflege- und Sozialberufen beleuchtet.
Die Präsentation zu der Keynote finden Sie hier.
Angesichts der Fachkräftelücke wird der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften immer deutlicher (vgl. Destatis 2024, Bock-Famulla 2023, Bundesagentur für Arbeit 2019, Hackmann/Sulzer 2018). Trotz steigender Ausbildungszahlen in den Berufen zum/zur Erzieher:in sowie zum/zur Pflegefachmann/Pflegefachfrau für 2023 reicht die Anzahl der neu abgeschlossenen Verträge nicht aus, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. In den Gesundheits- und Pflegeberufen hat sich die Zahl ausländischer Auszubildender in den letzten zehn Jahren verdoppelt (vgl. BA 2024). Dabei wird deutlich: je größer die Engpässe in verschiedenen Branchen werden, desto wichtiger wird Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften (Hickmann et al. 2021). Hierbei stellt sich jedoch die Frage, welcher Veränderungen es bedarf, damit Geflüchtete und Zugewanderte ihre Potenziale für eine gelingende Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration entfalten können.
So stehen Geflüchtete oft vor der Herausforderung, dass äußere Einflüsse ihre Berufswahl bestimmen, was pragmatische Entscheidungen fördert (vgl. Wehking 2020). Aktuelle
flüchtlingspolitische Maßnahmen, die der meritokratischen Logik folgend Aufenthaltsrechte an berufliche Leistungen koppeln, verstärken diesen Trend (vgl. Schamann 2019). Demnach beginnen Menschen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung häufiger eine Ausbildung als anerkannte Flüchtlinge (vgl. SVR 2024: 99). Wenn jedoch Notlösungen getroffen werden, die keine ausbildungsberufswunschnahen Alternativen darstellen, ist die Gefahr groß, dass die Ausbildung nicht erfolgreich beendet wird. So sind die Vertragslösungen unter Geflüchteten besonders hoch (vgl. BMBF 2024: 104; Schmidt/Uhly/Kroll 2024).
Trotz des skizzierten Fachkräftebedarf sind nicht alle Personen, die in das Pflege‑, Gesundheits- oder Sozialwesen einmünden wollen, erfolgreich, da die Zugangshürden wegen
benötigter Schulabschlüsse für viele Ausbildungsberufe vergleichsweise hoch sind. Aufgrund des bestehenden Zeit- und Handlungsdrucks bei Geflüchteten können erforderliche
Abschlüsse oftmals jedoch nicht erworben werden, sodass hier wichtige Potenziale verloren gehen. Ein weiteres Problem ist die fehlende Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen, was besonders geflüchtete Frauen betrifft. Diese haben oft eine geringere Erwerbsbeteiligung, da ihre beruflichen Qualifikationen oft in stark reglementierten Bereichen wie dem Erziehungssektor liegen und daher schwieriger anerkannt werden (vgl. Brücker et al. 2024). Dabei ist das Potenzial und die Aspirationen von Neuzugewanderten für den Gesundheits- und Pflegesektor besonders hoch. Doch sowohl zu hohes finanzielles und zeitliches Investment für Anerkennungsverfahren als auch bestehende Unzufriedenheiten mit den deutschen Referenzberufen stellen zentrale Herausforderungen bei Neuzugewanderten mit Berufserfahrung dar (vgl. Sachse (i.E.); Atanassov 2023). Forschungsbefunde machen deutlich, dass Neuzugewanderte zwar eine ausgeprägte Leistungsorientierung mitbringen, jedoch führt der Umstand, dass 99 % der Ausbildungen in Vollzeit angeboten werden (vgl. Grunau/Sachse 2023) dazu, dass viele Betroffene (v.a. Frauen) ihr Potenzial nicht abrufen können.
Insgesamt lässt sich resümieren, dass sich die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen nachhaltig verbessern sollten, um nicht nur Fachkräfte zu gewinnen, sondern auch zu halten.
Strukturelle Veränderungsbedarfe stellen die Etablierung von Validierungsmöglichkeiten für Personen mit langjähriger Berufserfahrung sowie alternative Qualifizierungsformate dar (z. B. Ausbau der Teilzeitmöglichkeiten (z.B. im Pflegebereich)). Schließlich könnten Herausforderungen von zugewanderten Personen durch die Schaffung eines betrieblichen Integrationsmanagement begegnet werden (vgl. SVR 2022: 41). Wichtig wäre darüber hinaus, dass das Potenzial von geflüchteten und zugewanderten Personen (z. B. durch eine offene Berufsorientierung) erkannt und die Ausbildungs- und Erwerbstätigkeit zugewanderter und geflüchteter Frauen gefördert würde.
Quellen: Atanassov, Rebecca; Böse, Carolin; Scholz, Moritz; Wolf, Hannah: Verlorene Pflegefachkräfte: Wann die „Auflage“ einer Ausgleichsmaßnahme das Anerkennungsverfahren ausbremsen kann und wie Abbrüche vermieden werden können. Version 1.0 Bonn, 2023. Online: https://res.bibb.de/vet-repository_781373
Bock-Famulla, Kathrin; Girndt, Antje; Berg, Eva; Vetter, Tim; Kriechel, Ben (2023): Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2023. https://doi.org/10.11586/2023041
Brücker, Herbert; Ehab, Maye; Jaschke, Philipp; Kosyakova, Yuliya (2024): Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten Verbesserte institutionelle Rahmenbedingungen
fördern die Erwerbstätigkeit. In: IAB-Kurzbericht 10/2024. Nürnberg.
Bundesagentur für Arbeit (BA) (2024): Auszubildende aus dem Ausland: eine wachsende Stütze für den Ausbildungsmarkt. Presseinfo Nr. 20 vom 21.05.2024. Online:
https://www.arbeitsagentur.de/presse/2024–20-auszubildende-aus-dem-ausland-einewachsende-stuetze-fuer-den-ausbildungsmarkt und Grafik unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/sozialversicherungspflichtig-beschaeftigteauszubildende-nach-staatangehoerigkeit_ba048875.pdf (08.10.2024).
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2024): Berufsbildungsbericht 2024. URL: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2024/240508-berufsbildungsbericht-24.pdf?_blob=publicationFile&v=1 (27.06.2024). Destatis (2024): Pressemitteilung Nr. 202 vom 23. Mai 2024. Online: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/05/PD24_202_125.htmltml (20.06.2024). Hickmann, Helen; Jansen, Anika; Pierenkemper, Sarah; Werner, Dirk (2021): Ohne sie geht nichts mehr. Welchen Beitrag leisten Migrant_innen und Geflüchtete zur Sicherung der Arbeitskräftebedarfe in Fachkraftberufen in Deutschland? Friedrich Ebert Stiftung.
Destatis (2024): Pressemitteilung Nr. 202 vom 23. Mai 2024. Online: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/05/PD24_202_125.htmltml (20.06.2024). Hickmann, Helen; Jansen, Anika; Pierenkemper, Sarah; Werner, Dirk (2021): Ohne sie geht nichts mehr. Welchen Beitrag leisten Migrant_innen und Geflüchtete zur Sicherung der Arbeitskräftebedarfe in Fachkraftberufen in Deutschland? Friedrich Ebert Stiftung.
Grunau, Janika; Sachse, Lena; Bartsch, Lea (2023): Teilzeitausbildung in der Pflege – Zielgruppen und Organisationsfragen. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 52 (1), S. 46–50. Online verfügbar unter www.bwpzeitschrift. de/dienst/veroeffentlichungen/de/bwp.php/de/bwp/show/18304, zuletzt geprüft am 11.11.2023.
Sachverständigenrat (SVR) (2022): Jahresgutachten 2022. Systemrelevant: Migration als Stütze und Herausforderung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Berlin. Sachse, Lena (i.E.): Wege in die Pflege. Rekonstruktion handlungsleitender Orientierungen formal unterqualifizierter Pflegepersonen. WBV Schammann, Hannes (2019): Aufenthalt gegen Leistung? Der Einzug meritokratischer Elemente in die deutsche Flüchtlingspolitik. In: Baader, M.S. et al. (Hrsg.): Flucht – Bildung – Integration? Wiesbaden: Springer. S. 43–61.
Schmidt, Robyn; Uhly, Alexandra; Kroll, Stephan (2024): Ausländische Auszubildende in der dualen Berufsausbildung nach einzelnen Nationalitäten, Deutschland 2008 bis 2022. Ergebnisse auf Basis der Berufsbildungsstatistik. 1. Auflage. Bonn. URL: https://www.bibb.de/dokumente/xls/dazubi_zusatztabellen_auslaendische-azubis_einzelnenationalitaeten
2008–2022.xlsx (20.06.2024).
Sulzer, Laura; Hackmann, Tobias (2018): Strategien gegen den Fachkräftemangel in der Altenpflege. Probleme und Herausforderungen. Online verfügbar unter https://www.prognos.com/de/projekt/strategien-gegen-fachkraeftemangel-der-altenpflege, zuletzt geprüft am 11.11.2023
Wehking, Katharina (2020): Berufswahl und Fluchtmigration. Berufspragmatismus als Anpassungsstrategie geflüchteter Jugendlicher in Berufsvorbereitungsklassen. In der Reihe:
Diehm, Isabell; Panagiotopoulou, Julie Argyro; Rosen, Lisa; Stošić, Patricia (Hrsg.): Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978–3‑658–30036‑4