Im Juni dieses Jahres hat der Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung beschlossen. Quasi in der letzten Minute hat eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses vom 21.06.23 Eingang in das Gesetz gefunden, die den ursprünglichen Regierungsentwurf an zentralen Stellen erweitert. Bereits in unserem letzten ZBS AuF-Newsletter Nr. 2/2023 vom 16.03.23 haben wir über die wichtigsten Änderungsvorhaben berichtet, die teilweise auch in einer ergänzenden Rechtsverordnung enthalten sind. Die neuen Ergänzungen, die auch die Situation von bereits in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen betreffen, fassen wir für Sie im Folgenden wie gewohnt in kompakter Form zusammen:
1) Schaffung einer Ausbildungsaufenthaltserlaubnis
Seit 2016 können Auszubildende, die noch keinen Aufenthaltstitel haben, für die Dauer einer betrieblichen oder schulischen Berufsausbildung eine sog. Ausbildungsduldung erhalten. Dies stellt sicher, dass sie während einer Ausbildung nicht abgeschoben werden können. Nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss und Aufnahme einer Tätigkeit als Fachkraft besteht dann der Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis.
Jetzt wurde die Ausbildungsduldung durch eine Ausbildungs-aufenthaltserlaubnis ersetzt. Dies war bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehen und ist sehr zu begrüßen
Unbedachte negative Folgen für schulische Auswirkungen?
Allerdings hat die Änderung in ihrer gegenwärtigen Fassung erhebliche negative Folgen vor allem für schulische Berufsausbildungen: Da die Ausbildungsaufenthaltserlaubnis künftig ein Aufenthaltstitel ist, kann sie Auszubildenden in der Regel nur erteilt werden, wenn bestimmte allgemeine Erteilungsvoraussetzungen (s. unsere Arbeitshilfe Nr. 6: Arbeitskräfteeinwanderung) erfüllt werden, wie vor allem die eigenständige Lebensunterhaltssicherung. Während einer schulischen Berufsausbildung wird aber im Regelfall keine Ausbildungsvergütung gezahlt. Zudem können Personen mit einer Ausbildungsaufenthaltserlaubnis auch kein Schüler*innen-BAföG bekommen, anders übrigens als Personen mit der „alten“ Ausbildungsduldung.
Für die Betroffenen ist es in der Regel auch praktisch unmöglich, neben einer Ausbildung einer weiteren Beschäftigung zur Unterhaltssicherung nachzugehen. Daher wird die Erteilung einer Ausbildungs-aufenthaltserlaubnis bei einer schulischen Berufsausbildung kaum möglich sein, wenn es bei den jetzt beschlossenen Regelungen bleibt.
Zu erwarten ist, dass sich vor allem geduldete junge Menschen dann häufiger für betriebliche Ausbildungen entscheiden werden, um so die Sicherheit zu haben, die Ausbildung in Deutschland beenden zu können. Da aber auch gerade im Gesundheits‑, Pflege- und Sozialbereich ein erheblicher Fachkräfteengpass besteht, widerspricht diese Konsequenz diametral dem Gesetzeszweck.
Chance für weitere Korrekturen im Herbst?
Es ist allerdings denkbar, dass die Auswirkungen für schulische Berufsausbildung gar nicht beabsichtigt waren. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass diese ggf. in weiteren Gesetzgebungsvorhaben (sog. Migrationspaket II), die für den Herbst diesen Jahres geplant sind, korrigiert werden.
Dabei könnte die Chance genutzt werden, auch die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen, die von der Ausbildungsduldung (s. unsere Arbeitshilfe Nr. 3 Ausbildungsduldung) vollumfänglich auf die Ausbildungsaufenthaltserlaubnis übertragen wurden, zu überdenken.
So sollte auch während der Ausbildungsvorbereitung, vor allem während einer Einstiegsqualifizierung, der Aufenthalt gesichert sein (s. auch die Handlungsempfehlung Nr. 8 im „Start Guides“-Positionspapier). Außerdem sollte die neue Ausbildungsaufenthaltserlaubnis auf Studierende ausgeweitet werden. Dies würde auch dem Ziel des neuen Gesetzes, zur Erweiterung einer „guten Fachkräftebasis“ beizutragen, entsprechen.
Um den Betroffenen und den Betrieben Rechtssicherheit zu bieten, sollten zudem die Stichtagsregelungen, nach denen die Identität in Abhängigkeit des Einreisedatums zu bestimmten Zeitpunkten in der Vergangenheit geklärt sein musste, abgeschafft werden.
Keine Auswirkungen für bestehende Ausbildungsduldungen
Inhaber*innen einer Ausbildungsduldung müssen sich aber aller Voraussicht nach keine Sorgen machen: Das neue Gesetz sieht vor, dass die Ausbildungsduldung als Ausbildungsaufenthaltserlaubnis fort gilt. Wegen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes müsste das auch gelten, wenn zum Beispiel der Lebensunterhalt nicht selbst gesichert werden kann. Eine entsprechende gesetzliche Klarstellung wäre hier allerdings hilfreich.
2) Änderungen für Fachkräfte
Bislang liegt die Entscheidung darüber, ob akademischen Fachkräften und Fachkräften mit Berufsausbildung, die in Deutschland arbeiten möchten, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, im Ermessen der Behörden. Jetzt soll ihnen ein Rechtsanspruch hierauf eingeräumt werden.
Für Personen mit einer Blauen Karte EU wurde die Mindestgehaltsschwelle bei allen Berufen nun von 56,6% auf 50% der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung gesenkt. Dies entspricht einem Betrag von ca. 6000 € pro Jahr.
Außerdem wird es Fachkräften künftig auch ermöglicht, ihre Eltern- und Schwiegereltern (wenn die Ehepartnerinnen ebenfalls in Deutschland leben) nachziehen zu lassen — eine Möglichkeit, die Familienangehörige von in Deutschland lebenden EU-Bürgerinnen schon lange haben. Bislang war der Nachzug von anderen Verwandten außerhalb der Kernfamilien, bestehend aus Ehepartner*innen und den minderjährigen ledigen Kindern, kaum möglich.
3) Wann tritt die neue Rechtslage in Kraft?
Erste Teile des Gesetzes treten am 18.11.2023. Weitere Teile, wie die Regelung zur Ausbildungsaufenthaltserlaubnis, werden voraussichtlich am 01.03.2024 sowie am 01.06.2024 in Kraft treten.